Wenn's hart auf hart kommt

Nothilfen für den Ernstfall

Du bist nicht auf den Mund gefallen und hast kein Problem damit, dich in allen möglichen Situationen effizient mit Worten zu verteidigen? Und trotzdem passiert es dir eines Tages, dass sich aus einem Bürogeplänkel ein „handfeste“ Situation entwickelt. Sei es ein kleines Handgemenge, ein Klapser auf den Po oder gar ein ausgewachsener sexueller Übergriff auf der Firmentoilette: Sobald sich die Situation mit Worten nicht mehr in den Griff bekommen lässt und auf die körperliche Ebene geraten ist, sind Taten gefragt.

 

Natürlich rechnest du am Arbeitsplatz am allerwenigsten damit, dass es einmal hart auf hart kommt. Aber gerade diese Tatsache macht es deinem Gegenüber um so leichter, die Situation auszunutzen und dich zu überrumpeln. Tatsächlich werden die allermeisten körperlichen Übergriffe von Bekannten verübt, und Arbeitskollegen oder Vorgesetzte bilden da keine Ausnahme. Damit du im Ernstfall zügig und beherzt einschreiten kannst, hier ein paar wirksame Tips, die du auch als untrainierte Person und auch am Arbeitsplatz im Notfall wirksam einsetzen kannst.

 

Hände hoch und Stop!

 

Wenn jemand deinen persönlichen Schutzraum nicht respektiert und dir unverhofft körperlich auf die Pelle rückt, dann liegt die erste Reaktion förmlich „auf der Hand.“ Bei den meisten von uns funktioniert das schon reflexartig: die Hände zur Abwehr hochzunehmen setzt ein deutliches Signal. Zu deinem Gegenüber gedrehte Handflächen signalisieren dabei ganz klar: „Halt! Komm mir nicht zu nah!“ Wenn nötig, kannst du dieses Signal auch noch akustisch verstärken, indem du laut und deutlich „Stop!“ sagst oder sogar schreist.


 

Zusätzlicher Vorteil dabei: wenn sich Kollegen in der Umgebung befinden, werden sie auf euch aufmerksam und können dir gegebenenfalls zu Hilfe eilen. Meist wird der Andere dann seine Vorhaben ganz schnell abbrechen.

 

Wenn das aber nicht der Fall sein sollte, weil z.B. niemand in der Nähe ist, dann kannst du dafür sorgen, dass die Bewegung nicht an ihrem Ziel ankommt, indem du dich ihr in den Weg stellst. Beim versuchten Anrempeln mit dem ganzen Körper kannst du beispielsweise die hochgenommenen Arme gleich dazu nutzen, den anderen aufzuhalten und anschließend wegzustoßen. Und wenn sich eine Hand schon unmissverständlich auf dem Weg zu deinen privatesten Körperteilen befindet, dann kannst du deine Arme als Block benutzen, indem du sie elegant, aber entschlossen in die Bewegungsbahn bringst. Mit genügend Schnelligkeit und Körperspannung wirst du so verhindern können, dass die Hand ihr Ziel erreicht. Wenn erforderlich, kannst du die Bewegung auch wieder mit einem akustisch deutlich vernehmbaren Signal untermalen (z.B.: „Hey, Hände weg!“).

 

Das schwächste Glied der Hand: die Finger

 

Sollte eine Hand doch mal ihr Ziel erreicht haben (z.B. weil du die Intention deines Gegenübers nicht frühzeitig wahrgenommen hast) und sich nun dreist um einen Körperteil schliesst, dann hilft dir die Anatomie. Zwar sind Hände kraftvoll und effizient, um Gegenstände oder Körperteile zu umfassen, aber unsere Finger sind nicht darauf ausgelegt, der gegenläufigen Belastung standzuhalten. Wohl niemand wird einen Griff beibehalten können, wenn ein Finger empfindlich von der Handfläche weggebogen wird.


 

Diese Tatsache kannst du bei jedwedem ungewollten Griff an deinen Körper ausnutzen. Sobald du einen Finger zu fassen bekommst, kannst du ihn nach oben bzw. außen ziehen und den Griff damit effizient lösen – sei es nun die unwillkommene Hand um dein Knie, oder schlimmstenfalls auch ein Griff um deinen Hals. Ein einzelner Finger kann auch beim stärksten Gegner nur wenig Kraft aufbringen, so dass auch das untrainierteste Opfer immer in der Lage sein wird, ihn wegzuhebeln.

 

Nutze empfindliche Stellen

 

Wenn dein Gegenüber noch dreister ist und dich in einer richtig unangenehmen Situation eingekeilt (z.B. Bedrängung von hinten gegen den Kopierer oder Einklemmen in einer dunklen Treppenecke auf dem Weg zum Parkhaus), dann kann es nötig werden, auch andere Körperteile in‘s Visier zu nehmen, um sich aus der Gefahrenzone zu bringen. Besonders effizient sind dabei empfindliche Stellen wie Augen, Nase und Geschlechsteile.

 


Ja, du hast richtig gelesen. Wenn du einer massiven körperliche Bedrängung ausgesetzt bist und klare verbale Aufforderungen oder ein Hilferuf nicht gefruchtet haben, dann darfst du deinem Gegenüber auch richtig wehtun, um dich zu befreien! Ein Faustschlag auf die Nase, ein Kick mit dem Knie in die Weichteile oder ein beherzter Druck der Daumen in die Augen wird deinen Gegner nicht lebensgefährlich verletzen, aber ihm so viel Unbehagen auslösen, dass er für ein paar Augenblicke erst mal mit sich selbst beschäftigt ist. Was dir die Zeit gibt, unverzüglich das Weite zu suchen.

 

Bring Dich in Sicherheit!

 

Damit kommen wir schon zum hoffentlich letzten Schritt der physischen Gegenwehr. Wann immer du die Gelegenheit dazu hast und dein Gegner so abgelenkt oder mit sich selbst beschäftigt ist, dass du einen genügenden Vorsprung bekommst, dann flieh, und zwar so schnell Du kannst! Wohin? Die erste Wahl wäre natürlich ein sicherer Ort, an den der Gegner nicht folgen kann. Das kann z.B. im Parkhaus dein Auto oder im Hotel dein Zimmer sein (mit von innen verriegelter Tür).

 


Am Arbeitsplatz selbst sind Räume mit anderen Menschen, die dir zu Hilfe eilen können, eine gute Alternative. Kaum jemand wird seine Übergriffe vor Kollegen fortsetzen wollen. Und falls doch, dann hast du Zeugen, die das Fehlverhalten im Zweifelsfall belegen können.

 

Das Recht ist auf Deiner Seite

 

Wenn du jetzt Bedenken bekommst, ob du dir mit einer starken physischen Gegenwehr keinen Ärger einhandelst, dann kann ich die zerstreuen: Notwehr ist auch am Arbeitsplatz eindeutig erlaubt. Bei einem akuten Angriff auf deine körperliche oder seelische Unversehrtheit, inkl. der eigenen Freiheit und sexuellen Selbstbestimmung, darfst du dich mit allem was du aufbieten kannst zur Wehr setzen. Auch gegen Vorgesetzte.

 

Und selbst, wenn sich hinterher herausstellen sollte, dass du die Situation missverstanden und überreagiert hast (z.B. weil der Mann, der sich am Kopierer von hinten gegen dich gedrückt hat, einen Schwächeanfall hatte und dich gar nicht bedrängen wollte), dann musst du keine strafrechtlichen Konsequenzen befürchten. Wenn du aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken gehandelt hast, dann gilt dies als sogenannter „Notwehrexzess“ und ist nicht strafbar.

 

§StGB 32: Notwehr

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

 


§ 33 StGB - Überschreitung der Notwehr („Notwehrexzess“)

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.


Noch mehr Sicherheit durch Übung

 

Sobald du dir angewöhnt hast, auf körperliche Übergriffigkeiten nicht mehr wie gelähmt, sondern mit klaren physischen Signalen zu antworten, hast du schon den allergrößten Schritt zu deinem effektiven Selbstschutz getan. Wenn du aber noch einen Schritt weiter gehen möchtest, und dich auch in sehr überraschenden Situationen oder gegen sehr massive Angriffe schützen willst, dann empfehle ich dir, deine Notfallreaktionen praktisch zu trainieren.


 

Du könntest z.B. einen Kurs in taktischer Selbstverteidigung absolvieren. Nur wenn deine Verteidigungsmöglichkeiten durch praktisches Training „in Fleisch und Blut übergegangen“ sind, wirst du sie auch im absoluten Notfall schnell und sicher abrufen können. Einige Universitäten und Arbeitgeber bieten solche Kurse in ihrem Weiterbildungsprogramm an. Und falls (noch) nicht: Rege es an! Dein Arbeitgeber ist schließlich gesetzlich zum Schutz seiner Mitarbeiter verpflichtet.

 

Wer das Thema dieser Kolumne praktisch vertiefen will, ist herzlich in meinen „Mir mir nicht“-Workshops willkommen.