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Bewerben war Gestern

Warum Bewerbungen schreiben nicht besonders aussichtsreich ist,

und was man stattdessen tun kann.

Christine G., stolze Inhaberin eines Prädikats-Examens von einer deutschen Elite-Universität, ist auf Stellensuche. Man kann sich lebhaft vorstellen, was das für sie heißt. Wir sehen sie geradezu bildlich vor uns, wie sie mit ihrem Bewerbungsratgeber vor dem Computer sitzt, akribisch jedes Anschreiben auf die jeweilige Stellenausschreibung anpasst, jeden Satz fein ziseliert und jede Formulierung auf unerwünschte Interpretationsspielräume und mögliche Fallstricke hin abklopft. Der Schreibtisch quillt über von ausgeschnittenen Stellenanzeigen, den obligatorischen Bewerbungsmappen, Ausdrucken von Lebensläufen, Zeugniskopien und Din A4-Umschlägen. 


 

Jede Woche führt ihr Weg sie mehrfach zur nächsten Postfiliale, wo der mittlerweile wohlvertraute Schalter-Mitarbeiter ahnungsvoll mitfühlend den nächsten Stapel Umschläge in Empfang nimmt. Mindestens genau so oft drückt sie daheim nach sorgfältiger Prüfung den „submit“-Button ihres E-Mail-Programms, um eine weitere Bewerbungsmail in den Äther zu schicken. Den Sound, der das erfolgreiche Versenden auf ihrem Computer bestätigt, quittiert sie mit einem hoffnungsvollen Seufzer.

 

Leider sind die Reaktionen auf ihre Bemühungen weniger zahlreich. Wenn sie überhaupt eine Rückmeldung auf ihre Bewerbungen bekommt, besteht sie meist aus höflich formulierten standardisierten Empfangsbestätigungen und Absagen. Immer seltener findet ein komplettes Bewerbungspaket im Din A4-Umschlag den Weg zurück in ihren Briefkasten. Meist ist den Arbeitgebern selbst die Rücksendung zu aufwendig, worauf natürlich korrekterweise gleich in der Anzeige hingewiesen wurde. Mit jeder ins Land gehenden Woche wächst Christines Frustration. Umso schwerer fällt es ihr, den optimistisch motivierten Grundton in den Bewerbungsschreiben aufrecht zu erhalten.

 

Wer hätte dieses nervenaufreibende Szenario nicht bereits durchlebt? Man möchte der Absolventin geradezu ermunternd zurufen: „Halte durch! So läuft das eben, das ist nur eine Phase. Mit Deinem tollen Abschluss wirst Du es mit Geduld und Fleiß am Ende schaffen, eine gute Stelle zu ergattern!“

 

Warum scheinen wir so genau zu wissen, wie Christine G.’s Alltag aussieht? Wie kommen wir zu dieser Vorstellung? Für die meisten von uns ist die Stellensuche geradezu gleichbedeutend mit Bewerbungen schreiben, quasi eine „conditio sine qua non“ zum Job. Aber ist das wirklich so? Führt der beste Weg zum Traumjob wirklich über den steinigen Pfad der formellen Bewerbung? Ich meine: Nein. Und dafür gibt es eine ganze Reihe von guten  Gründen.


 

Das Problem mit Bewerbungen

 

Beginnen wir mit den zahlenmäßigen Verhältnissen. Wohl kaum ein Stellensuchender schreibt keine Bewerbungen. Wer bei der Agentur für Arbeit gemeldet ist, der ist in der Regel sogar dazu verpflichtet. Aber welcher Anteil der Stellen wird eigentlich über ein offenes Bewerbungsverfahren an vorher unbekannte Bewerber vergeben?

 

Um in einem Bewerbungsverfahren vergeben werden zu können, muss eine Stelle zunächst einmal überhaupt ausgeschrieben werden. Tatsächlich wird aber ein großer Teil aller prinzipiell verfügbaren Stellen niemals öffentlich ausgeschrieben. Zwar ist in manchen Sektoren (z.B. dem öffentlichen Dienst) eine offene Ausschreibung für eine Einstellung Stellenbesetzung vorgeschrieben. In der freien Wirtschaft jedoch sieht die Situation deutlich anders aus. Es ist schwierig, hier genaue Zahlen zu ermitteln – wie soll man schließlich erheben, ob eine Unternehmen offene Stellen besitzt, wenn es diese nicht öffentlich macht? Gerade in kleineren Unternehmen gibt es aber oft gute Gründe, offene Stellen nicht auszuschreiben. Der Personalbedarf macht sich nur schleichend bemerkbar und wird zunächst durch Überstunden der vorhandenen Belegschaft aufgefangen. Man ist sich noch nicht sicher, wie die Stelle strukturiert sein soll. Oder es sind schlicht momentan keine personellen Ressourcen vorhanden, um den Ausschreibungs- und Bewerbungsprozess abzuarbeiten. Manche Firmen setzen ganz bewusst auf aktive Rekrutierungsstrategien anstelle von Ausschreibungen. Sie greifen beispielsweise auf Personaldienstleister oder Headhunter zurück, oder sie geben ihren eigenen Mitarbeitern Anreize, Bekannte aus ihrem Netzwerk als neues Mitarbeiter zu empfehlen. Manche gehen davon aus, dass aus diesen Gründen 70 bis 75 Prozent der Stellen heute nicht mehr öffentlich ausgeschrieben werden. Um die verbliebenen 25 bis 30 % müssen dann die Bewerber konkurrieren.

 

Selbst wenn eine Stelle einmal ausgeschrieben ist,  spielt eine Reihe von Faktoren dabei mit, wie die sie letztendlich vergeben wird. Gerade in herausgehobenen Positionen oder im öffentlichen Dienst liegt die Bewerberauswahl beispielsweise oft in der Hand von Kommissionen. Wer einmal in einem Gremium gesessen hat, der weiß, welche Mechanismen hier oft bei der Entscheidungsfindung eine maßgebliche Rolle spielen. Jeder fühlt sich bemüßigt, seine (leider allzu oft unbegründete) Meinung kundzutun, die Diskussion wird durch die Gruppendynamik in erratische Richtungen abgelenkt, es werden miteinander konkurrierende Bündnisse geschmiedet, die sich gegenseitig blockieren - kurzum: das blühende politische Leben. Die getroffenen Entscheidungen sehen dann entsprechend aus. Oft stellen sie eher die Lösung des geringsten Widerstands dar als die objektiv bestmögliche Wahl.


 

Dazu kommt noch: In den wenigsten Fällen kann sich ein komplett unbekannter Bewerber durchsetzen. Wer hat es nicht schon erlebt, dass eine Stelle zwar formell ausgeschrieben wurde (vielleicht, weil der Arbeitgeber dazu verpflichtet war), dann aber an einen internen Mitarbeiter oder an einen einschlägigen Bekannten vergeben wurde? Manche Ausschreibungstexte sind so spezifisch formuliert, dass es schwer zu glauben ist, wie man auf ein solches Profil kommen kann, ohne eine bestimmte Person im Auge zu haben. Ich kenne sogar Fälle, in denen der Wunsch-Bewerber dazu eingeladen wurde, die Ausschreibung der betreffenden Stelle selbst mit zu gestalten.

 

Und schließlich sei noch eine letzte häretische Frage erlaubt: Welche Fähigkeit wird denn im üblichen Vorgehen maximal trainiert und anschließend bewertet? Es ist das Bewerbungen Formulieren, und nicht die eigentliche Tätigkeit, um die es überhaupt geht. Der kritische Betrachter kann sich also auf den Standpunkt stellen, dass Bewerbungen eigentlich komplett irrelevant sind – es sei denn, man bewirbt sich um eine Stelle als Bewerbungs-Ghostwriter...

 

Was kann man besser machen?

 

Aber genug der Häresie: Was kann man denn stattdessen tun, um eine passende Beschäftigung zu finden? Zurück zu unserer Absolventin Christine G. Wie sieht ihr Alltag aus? Tatsächlich hat sich Christine für einen komplett anderen Weg entschieden als wir ihn uns eingangs vorgestellt haben. Sie wälzt mitnichten den Bewerbungsratgeber, und auch die Postfiliale sieht sie nur von innen, wenn sie das Paket mit ihren nächsten Liebling-Paar Schuhen abholt. Stattdessen dreht sie den Spieß einfach um.

 

Statt sich mit einer großen Zahl von Mitbewerbern in einem intransparenten Verfahren um eine kleine Zahl von vordefinierten, und nur halbwegs zu ihrer Ausbildung passenden Stellen zu bemühen, geht sie den umgekehrten Weg. Sie kreiert sich einfach selber einen auf sie maßgeschneiderten Traumjob (und zwar nicht unbedingt, indem sie eine eigenen Firma gründet)! Wie stellt sie das an?

 

Christines Story

 

Christine G. hat sich zunächst einmal damit beschäftigt, was sie eigentlich wirklich gut kann. Dabei berücksichtigt sie nicht nur ihre formelle Ausbildung (ein Physik-Studium mit anschließender Doktorarbeit im Bereich der Datenanalyse und Modellierung), sondern auch Fähigkeiten, die sie im Privaten einsetzt. Sie ist zum Beispiel Sanitäterin und hat in dieser Funktion schon oft ehrenamtlich auf Veranstaltungen fungiert. Außerdem hat sie sich an Science Slams beteiligt, auf denen sie ihre Forschung präsentiert und schon einige Preise gewonnen hat.


 

Sie hat Spaß daran, komplizierte Sachverhalte auf das wesentliche zu reduzieren und im direkten Kontakt den Menschen allgemeinverständlich und unterhaltsam zu vermitteln.

 

Christine reist gern und hat im Urlaub schon einige Länder, insbesondere in Afrika, bereist. Als Sanitäterin sind ihr dabei immer wieder die vielen Infektionskrankheiten aufgefallen, die dort grassieren, viele Opfer fordern, und durch Touristen und Geschäftsreisende auch in moderne Industrieländern verbreitet werden. Christine hat schon oft den Wunsch verspürt, dazu beizutragen, dieses Problem in den Griff zu bekommen.

 

Bei Xing hat Christine hat gelesen, dass 50 % der Stellen über Kontakte vergeben werden. Sie selbst kennt allerdings niemanden, der mit der Bekämpfung von Infektionskrankheiten in Entwicklungsländern zu tun hätte und weiß auch nicht, ob ihre Qualifikation sie irgendwie für eine Arbeit in diesem Gebiet befähigen würde. Aber in der Lokalzeitung wird sie auf eine Veranstaltung zu dem Thema aufmerksam. Dort halten Referenten von verschiedenen Organisationen Vorträge mit anschließender Diskussion. Christine geht hin. Nach den Vorträgen und in der Kaffeepause kommt sie mit anderen Teilnehmern und sogar einigen Referenten ins Gespräch.

 

Sie verlässt die Veranstaltung mit einem ersten Eindruck über die momentanen Herausforderungen in der Epidemiologie und mit einer Handvoll Visitenkarten. Im Nachgang bittet sie einige dieser Personen um ein kurzes Treffen auf einen Kaffee. Bei diesen Treffen bringt sie Details dazu in Erfahrung, wie genau die Arbeit ihrer Gesprächspartner aussieht, und fragt jeweils nach Empfehlungen für weitere Personen, die sie im nächsten Schritt kontaktieren könnte. Nach einigen Wochen hat Christine so einen guten Überblick über das Thema gewonnen. Außerdem hat sie sich nach dem Schneeballprinzip ein bemerkenswertes Netzwerk an persönlichen Kontakten in dem thematischen Umfeld geschaffen.

 


Sie weiß jetzt auch, wie sie ihre Fähigkeiten in diesem Thema einbringen und wer daran interessiert sein könnte. Eine medizinische Entwicklungshilfeorganisation benötigt unbedingt Hilfe bei der Interpretation und Aufbereitung von epidemiologischen Daten und deren allgemeinverständliche Vermittlung an die allgemeine Öffentlichkeit und politische Entscheidungsträger, sowohl in Europa als auch in den Entwicklungsländern selbst. Das könnte sich Christine sehr gut vorstellen. Sie könnte diese Aufgabe sogar mit ihrer Reiselust verbinden und teilweise in Afrika arbeiten!

 

Fast forward.

Einige Monate später steigt Christine für ihren ersten Tansania-Aufenthalt ins Flugzeug. Der Arbeitsvertrag mit der NGO ist unter Dach und Fach, ohne dass sie jemals eine Bewerbung geschrieben hätte. Stattdessen hat sie in den letzten Monaten viel gelernt, und sich dabei gleichzeitig optimal auf ihre neue Tätigkeit vorbereitet. Ihre Arbeitgeber sind glücklich, eine so fähige und engagierte Mitarbeiterin gefunden zu haben, die ihre Probleme auf eine Weise löst, wie sie selbst es sich gar nicht hätten vorstellen können. Deshalb wären sie auch nie auf die Idee gekommen, eine entsprechende Stelle auszuschreiben.


 

Zugegeben, dieser spezielle Fall ist komplett erfunden. Nicht erfunden ist allerdings die Tatsache, dass diese Strategie ungleich vielversprechender ist, als auf die optimale Stellenausschreibung zu warten und dann mit einer Vielzahl anderer Bewerber darum zu konkurrieren. Und dass ich viele glückliche Menschen persönlich kenne, deren Weg zur neuen Stelle nach diesem Prinzip abgelaufen ist!

 

Das Rezept dazu?

 

Schritt 1:

Auf Grundlage der individuellen Kenntnisse, Fähigkeiten, Werte und Bedürfnisse eine eigene Karrierevision entwerfen.

 

Schritt 2:

Systematische Recherche und gezieltes Networking mit Hilfe von bewährte Methoden, wie:

  • informelle Interviews (aka „systematisch Kaffeetrinken“),
  • Aufbau von persönlichen Kontakten
  • Mentoring durch eine persönliche Support Group
  • Steigerung der eigenen Sichtbarkeit.

 

Schritt 3:

In der Wechselwirkung mit potentiellen Arbeitgebern eine Stelle designen, in der ich mit meine eigenen Fähigkeiten dazu einsetzen kann, Herausforderungen meines Arbeitgebers zu lösen und dabei genau so zu arbeiten, wie es mir entsprich. Die klassische Win-Win-Situation also.

 

Fazit: Warum also noch länger warten?

 

Das Gute ist: Dieser Prozess lässt sich problemlos im eigenen Tempo parallel zu alten Job oder Studium beginnen und individuell steuern. Keine Hektik, kein Zeitdruck, keine (Bewerbungs-)Deadline. Stattdessen mit Spaß und Genuss den eigenen Neigungen nachgehen, viele interessante Menschen treffen, sich selbst besser kennenlernen, und ganz nebenbei an der beruflichen Zukunft basteln. Kein Schritt ist verloren, alle auf diesem Weg gesammelten Erfahrungen sind wertvoll. Und das Beste: Wenn Sie den Bogen einmal raus haben, lässt sich das gleiche Verfahren im Laufe eines Lebens vielfach anwenden, nicht nur für Angestellten-Tätigkeiten, sondern zum Beispiel auch, um ein eigenes Business zu konzipieren und aufzubauen.

 

Lust bekommen, nun auch das berufliche Steuer in die eigene Hand zu nehmen? Nur zu, machen Sie heute einen ersten Schritt. Alles andere ergibt sich dann von selbst... Um es mit Erich Kästner zu sagen:

 

"Es gibt nichts Gutes, außer, man tut es!"